GEDANKEN ZU ERICH WOLFGANG KORNGOLD

von Thomas Jonigk

Die Biografie Erich Wolfgang Korngolds (1897-1957) ist in jeder Hinsicht außerordentlich., gekennzeichnet durch Extreme, beständige Neuanfänge bzw. -erfindungen und Paradigmenwechsel. In der historischen Rückschau muss sie in ihrer Komplexität und Multivalenz als modern bezeichnet werden: Welcher Vertreter ernster Musik außer Korngold kann schon für sich beanspruchen, als Opernkomponist ebenso einzigartig und prägend gewesen zu sein wie als Komponist von Filmmusik? An der Wiener Hofoper, der Hamburgischen Staatsoper, aber auch in Hollywood gefeiert worden zu sein? Für Lotte Lehmann und Joseph Schmidt, aber auch für Bette Davis gearbeitet zu haben? Neben Richard Strauss der meistgespielte Komponist Deutschlands und Österreichs gewesen zu sein und 1937 und 1939 zwei Oscars für seine Filmmusiken zu „Anthony Adverse“ und „The Adventures of Robin Hood“ gewonnen zu haben?

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BETWEEN TWO WORLDS
GEDANKEN ZU ERICH WOLFGANG KORNGOLD

von Thomas Jonigk

Die Biografie Erich Wolfgang Korngolds (1897-1957) ist in jeder Hinsicht außerordentlich., gekennzeichnet durch Extreme, beständige Neuanfänge bzw. -erfindungen und Paradigmenwechsel. In der historischen Rückschau muss sie in ihrer Komplexität und Multivalenz als modern bezeichnet werden: Welcher Vertreter ernster Musik außer Korngold kann schon für sich beanspruchen, als Opernkomponist ebenso einzigartig und prägend gewesen zu sein wie als Komponist von Filmmusik? An der Wiener Hofoper, der Hamburgischen Staatsoper, aber auch in Hollywood gefeiert worden zu sein? Für Lotte Lehmann und Joseph Schmidt, aber auch für Bette Davis gearbeitet zu haben? Neben Richard Strauss der meistgespielte Komponist Deutschlands und Österreichs gewesen zu sein und 1937 und 1939 zwei Oscars für seine Filmmusiken zu „Anthony Adverse“ und „The Adventures of Robin Hood“ gewonnen zu haben?
Im Europa vor dem 2. Weltkrieg war Korngold ein „Big Name“, in den USA ist er es bis heute. Berühmt wurde er dort aufgrund seiner Oper „The Dead City“, aber sein Ruhm festigte sich vor allem aufgrund seiner Tätigkeit als Filmkomponist. Zeit seines Lebens in den Vereinigten Staaten wurde der berühmte Österreicher von Journalisten und Studiobossen mit besonderer Aufmerksamkeit und Privilegien bedacht, zum Beispiel erlaubte es ihm sein Vertrag bei Warner Brothers, nicht mehr als zwei Spielfilme innerhalb eines Jahres zu vertonen, während seine Kollegen sich im selben Zeitraum bis zu zwölf Werken zu stellen hatten. Inhaltlich war er innovativ und erarbeitete sich viele Freiräume, unter anderem bestand er auf einem eigenen Vorführraum inklusive Piano und entschied – während er den jeweiligen Film ansah – welche Passagen mit Musik untermalt werden sollten und welche nicht. Zudem greift er mit seiner Musik oft interpretierend in das Handlungsgeschehen ein und erhöht damit das Genre der Filmmusik zur eigenständigen, oft auch widerspenstigen Kunstform.
Im Sommer 1937 verließ Korngold Hollywood, um seiner Oper „Die Kathrin“ volle Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, die für die folgende Spielzeit an der Wiener Staatsoper programmiert war. „Die Kathrin“ hatte ursprünglich die alle Grenzen überwindende Liebesgeschichte einer Deutschen mit einem französischen Soldaten erzählt. Nachdem der Text aber auf politischen Widerstand gestoßen war und Schott die entstehende Oper 1932 abgelehnt hatte, entschärfte Korngold das Libretto – unter anderem, indem aus der Deutschen eine Schweizerin und die Handlung nach Frankreich verlegt wurde – und fügte dem Werk damit einen irreparablen Schaden zu, das seine im März 1938 in Wien angesetzte Uraufführung nicht erlebte. – „Die Kathrin“ wurde nach dem „Anschluss“ an das nationalsozialistische Deutsche Reich am 13. März 1938 wegen Korngolds jüdischer Abstammung untersagt. So war es für Warner Brothers ein leichtes, Korngold wieder an sich zu binden. Der Komponist reiste Richtung Westen ab – nur wenige Wochen, bevor Hitler und seine Truppen in Österreich einmarschierten.
Dieses Leben zwischen Austria und Hollywood, Opernbühne und Filmstudio kann durch die Brille des eklektizistischen Weltbürgers als perfekte Synthese zwischen verschiedenen Kunstgenres und Kulturkreisen gelesen werden – und als biographischer Prototyp, der direkt auf das 21. Jahrhundert verweist, auf unsere Flexibilität, Identitäts-, Wohnort- und Berufswechsel einfordernde, in jeder Hinsicht dehn- und interpretierbare, globalisierte Gegenwart, in der Wandlungsfähigkeit zum Überleben ebenso notwendig ist wie Anpassungsfähigkeit. Dennoch: Korngolds Biografie als Gebrauchsanweisung für eine sich in Auflösung bzw. Veränderung befindliche Gesellschaft zu lesen, ist fragwürdig. Der Faschismus bzw. Austrofaschismus zwang den Sohn des Musikkritikers Julias Korngold, Österreich zu verlassen und die dauerhafte Fixierung auf die „Traumfabrik Hollywood“ des „musikalischen Wunderkindes“ hatte u.a. damit zu tun, dass es dem Emigranten nach dem Zweiten Weltkrieg – wie so vielen Opfern des Nationalsozialismus – nicht mehr gelang, in Europa Fuß zu fassen. Korngold ist – ebenso wie Arnold Schönberg, Alexander von Zemlinsky oder Berthold Goldschmidt –Opfer eines totalitären, politischen Systems und wurde als Künstler in der Ausübung seiner Berufung, seiner Überzeugungen und deren musikalischen Ausformungen eingeschränkt und zensiert. Viele Künstler aus den Bereichen Musik, Theater, Literatur und bildender Kunst sind daran gescheitert und zugrunde gegangen.
Wie Korngold es geschafft hat, im Exil zu überleben und seine Produktivkräfte zu schützen, wissen wir nicht. Ebenfalls wissen wir nicht, wie er sich als Überlebender im Exil gefühlt hat. Ob als einer, der „Between Two Worlds“ lebte, um den Titel eines von ihm vertonten Filmes aus dem Jahr 1944 zu zitieren, ob als Opfer der Nazis, als verkannter klassischer Komponist oder als Hochbegabter, der Zeit seines Lebens die Bürde, Wunderkind gewesen sein zu müssen, nicht abschütteln konnte: Allesamt Vermutungen bzw. Unterstellungen aus dem Graubereich von Hypothese und Spekulation. Umso angemessener ist es, dass Korngold – im Gegensatz zu unzähligen Künstlern, die von den Nazis verfolgt wurden, nie wieder adäquate Arbeitsmöglichkeiten erhielten und unweigerlich in Vergessenheit gerieten – seit den 1970er Jahren eine Renaissance erlebt hat. Natürlich: Sein musikalisches Oeuvre hätte einen zentraleren Platz in den Spielplänen der Konzertsäle und Opernhäuser verdient – aber dieser kann noch immer geschaffen werden. Seine „Lieder des Abschieds“ oder die „Shakespeare Songs“ (Opus 31), „Violanta“, „Der Ring des Polykrates“, „Die tote Stadt“ oder „Das Wunder der Heliane“, das sind im besten Sinne eigenartige, ebenso sperrige wie verführerische, gänzlich unverwechselbare Werke, die wir uns nicht entgehen lassen dürfen. Voll von Überschwang, Sehnsucht, Metaphysik und kompositorischer Brillanz. Intellektuelle, emotionale und musikalische Herausforderungen, ein von den Nationalsozialisten als „entartet“ bezeichnetes Opus, das den Kulturkreis, aus dem es vertrieben wurde, noch immer nicht zur Gänze zurückerobern konnte. Ihm dies zu ermöglichen, ist unsere Aufgabe. Wir sollten in der Lage sein, uns dieses Privilegs zu stellen.

(erschienen in: Erich Wolfgang Korngold. Eine Einführung zu den Bühnenwerken. Schott Music GmbH & Co.KG. Mainz 2019)