Triumph der Schauspielkunst

Kurzbeschreibung | gesamter Text

Triumph der Schauspielkunst

Kurzbeschreibung | gesamter Text

Wir werden uns nie wiedersehen

Kurzbeschreibung | gesamter Text

KURZBESCHREIBUNG

Triumph der Schauspielkunst

Nachdem die Kirschbäume auf ihrem Gut in Rußland gefällt sind, kehrt Andreevna Ranevskaja traurig nach Paris zurück.

Nur ihre Tochter Anja und der revoltierende Student Trofimov haben sie aus dem Kirschgarten-Personal begleitet. Doch während sie immer weiter ihr Aufbruchsfanal erneuern, stellen sie erstaunt fest, daß ihr Dienstmädchen das Alte und Vergangene liebt.

Sie liebt das Leiden und die Langeweile, und so geht sie zum Theater, wo die verlorene Zeit aufbewahrt ist.

KURZBESCHREIBUNG

Ach, da bist du ja!

Ein Mann und eine Frau treffen aufeinander, geraten sofort in einen Ehestreit und stellen dann fest, dass sie gar nicht verheiratet sind – sie haben sich verwechselt.

Nachdem das geklärt ist, verlieben sie sich ineinander und beginnen zusammen ein neues Leben.

Die Geschichte, die sich aus dieser Grundsituation entwickelt, ist der Stoff für eine absurde Liebeskomödie, in deren Verlauf die Protagonisten leider nicht viel zu lachen haben.

KURZBESCHREIBUNG

Wir werden uns nie wiedersehen

„Ein Mann glaubt, von Gott den Auftrag erhalten zu haben, eine Arche zu bauen und dem drohenden Weltuntergang als Auserwählter zu entkommen. Doch ganz offensichtlich wird es keinen einzigen Überlebenden geben.
Und vielleicht nicht einmal einen Weltuntergang.“

TEXT

Wir werden uns nie wiedersehen
von
THOMAS JONIGK

Ein bürgerlicher, korrekt gekleideter und sich kontrolliert bewegender Mann. Er ist aufgewühlt, versucht aber, seine Erregung zu unterdrücken. Er hält einen Stadtplan sowie mehrere Papiere in der Hand und wendet sich an die Menschen um ihn.

DER MANN:
Verzeihung. Ich störe nur ungern. Aber eine Holzhandlung? Eine Sägerei? Einen Baumarkt? Wissen Sie das? Gibt es so etwas in der näheren Umgebung? Ich sage „Nähere Umgebung“, da ich kein Auto zur Verfügung habe, und auf die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel angewiesen bin. Linienbus, U- oder S-Bahn, sehr gerne möchte ich es jedoch vermeiden, Regionalbahn bzw. Regionalexpress benutzen zu müssen. Ich sage „regional“, weil Holzhandlungen aufgrund günstigerer Grundstücks- und Gebäudemieten oft außerhalb oder am Rande der Stadt angesiedelt sind, (ablesend) Märkische Spitze in Berlin Marzahn, Grünbergallee in Berlin-Bohnsdorf, Malchower Chaussee in Weissensee, (zu den Menschen) das steht im Branchenbuch, dem können Sie diese Tatsache entnehmen. Aber mir bleibt wenig Zeit. Ich wäre für einen Hinweis auf eine Holzhandlung in der Nähe mehr als dankbar. (tief durchatmend) Ich habe nämlich einen Traum gehabt. Zunächst war nur eine Stimme zu hören. „Ich will die Menschen, die ich geschaffen habe“, hat die Stimme gesagt, ich habe es mir notiert, weil ich auf keinen Fall auch nur das kleinste Detail vergessen will (ablesend), „vertilgen von der Erde, vom Menschen an bis hin zum Vieh und bis zum Gewürm und bis zu den Vögeln unter dem Himmel, denn es reut mich, dass ich sie gemacht habe.“ (aufsehend) Und dann hat der Redner mich direkt angesehen und gesagt, dass ich der Einzige sei, der Gnade vor ihm fände. Ich. Können Sie sich das vorstellen? Ahnen Sie, was das bedeutet? (durchatmend) Wissen Sie. Ich glaube nicht an Gott. Religion, die Bibel und so weiter betrachte ich nur mit kulturgeschichtlichem Blick, aber ich habe instinktiv gewusst, dass das ein Gott war, der zu mir gesprochen hat. Wie gesagt. Ich habe nicht verstanden, weshalb er mich, ausgerechnet mich, zum Überleben ausgewählt hat, aber letztlich, für einen Augenblick, schien es mir richtig. Angemessen. Das klingt jetzt, als würde ich mir ein Recht auf Sonderbehandlung einräumen. Aber ich kann es nicht besser ausdrücken. (neu ansetzend) Jedenfalls ließ der Gott mich wissen, dass er der Menschen überdrüssig ist, sie bekümmern ihn in seinem Herzen und dass er sie verderben will mit der Erde. Er sagte (ablesend): „Mache dir einen Kasten von Tannenholz und mache ihn so: Dreihundert Ellen sei die Länge, fünfzig Ellen die Breite und dreißig Ellen die Höhe. Ein Fenster sollst du daran machen obenan, eine Elle groß. Die Tür sollst du mitten in seine Seite setzen. Und er soll drei Stockwerke haben, eines unten, das zweite in der Mitte, das dritte oben.“ (zu den Menschen) Tannenholz. Ich nehme an, Sie beginnen mich zu verstehen. Ist jemand eine Holzhandlung oder ein Baumarkt in der umliegenden Gegend eingefallen? Und weiß zufällig jemand, wieviel eine Elle ist? Das ist ein Maß, das mir, der ich in Seitenzahlen bzw. Zeichen pro Zeile denke, nicht das Geringste gesagt hat. Ich war nämlich in einer Bibliothek tätig. In einer der unzähligen Bibliotheken, die staatlichen Sparmaßnahmen zum Opfer gefallen sind. Aber es wurden ohnehin kaum noch Bücher entliehen. Videos. Und später DVDs. Lesen Sie? (sich selbst unterbrechend, ablesend) Die Elle. Eine alte Maßeinheit, die die Länge zwischen Ellenbogen und Mittelfingerspitze bezeichnet. Es gibt die Rostocker Elle, die Brabanter Elle, die Regensburger Elle, um nur einige zu nennen, und die ungefähre Länge einer Elle liegt zwischen 45 bis 89 Zentimetern. (zu den Menschen) Fünfzig Ellen breit und dreißig Ellen die Höhe. Sie beginnen, meine Verzweiflung zu verstehen. (neu ansetzend) Dann hat der in seinen Angaben leider nicht sehr präzise Gott gesagt, dass er eine Sintflut kommen lassen wolle auf Erden, zu verderben alles Fleisch, darin Atem des Lebens ist, unter dem Himmel. Alles, hat er gesagt, (ablesend) „alles, was auf Erden ist, wird untergehen. Aber mit dir“ (aufblickend) – also mir – (weiter lesend) „will ich meinen Bund aufrichten, und du sollst in die Arche gehen mit deiner Frau. Und du sollst in die Arche bringen von allen Tieren, von allem Fleisch, je ein Paar, Männchen und Weibchen, dass sie leben bleiben mit dir.“ (zu den Menschen) Und dann hat er noch gesagt, dass er es vierzig Tage und vierzig Nächte auf die Erde niederregnen lässt, so lange, bis alles Fleisch untergeht. (zusammenfassend) Ein apokalyptisches Szenario. Das kann ich Ihnen versichern. Alles geht unter. Alles verschwindet. Nicht nur Bibliotheken. Die Allgemeinbildung. Die grammatikalisch korrekte Sprache. Oder Menschen, die Gedichte lesen, geschweige denn schreiben. Nein. Die gesamte Menschheit. Und wenn Sie einmal scharf nachdenken, werden Sie feststellen, dass dieser Prozess schon vor langer Zeit begonnen hat. Oder können Sie mir sagen, wohin die Liftboys dieser Welt verschwunden sind? Die Fernsehansagerinnen. Das Bodenpersonal am Flughafen. Das Testbild im Fernsehen. Die Ländergrenzen. Die Altersrente. Oder gehen Sie einmal in ein Fachgeschäft, sofern es das noch gibt, und fragen Sie eine gut ausgebildete Fachkraft, die es schon lange nicht mehr gibt, nach Löschpapier oder Tipp-Ex. Sehen Sie? Verstehen Sie jetzt, was ich meine? Alles ist dem Untergang geweiht. Offensichtlich lässt uns das Leben keine andere Möglichkeit. Das Universum. Denn spätestens seit Kopernikus und Galilei, um ein weiteres, ein letztes Beispiel zu nennen, ist doch klar, dass es nicht einmal Sonnenaufgänge gibt, weil jede sichtbare Bewegung der Sonne nicht aus ihr selbst, sondern aus der sich um die Sonne bewegende Erdkugel entsteht. Das romantisch verklärt als Sonnenaufgang bezeichnete Phänomen ist in Wirklichkeit ein berechenbarer Untergang der Erde. (immer erregter) Sehen Sie? Verstehen Sie? Zuversicht ist Ansichtssache. Und Zukunftsgläubigkeit nicht zeitgemäß. Für Sie ist in circa vierzig Tagen alles vorbei, denn mir – dem aus unerfindlichen Gründen Auserwählten – ist es ausdrücklich nicht erlaubt, andere Menschen mit an Bord des Schiffes zu nehmen, das zu bauen ich leider nicht in der Lage sein werde, weil ich über nicht die geringste handwerkliche Begabung verfüge. Ich kann nicht einmal einen Nagel in die Wand schlagen. Egal. Eins nach dem anderen. Vielleicht kann ich den Bau des Schiffes in Auftrag geben. (neu ansetzend) Sind zufällig Schiffsbauer unter den Anwesenden? Zimmermänner? Oder Tischler? (nachhakend) Nicht? Die Berufe gibt es wahrscheinlich auch nicht mehr. (neu ansetzend) Zukünftig also nur ich. Und meine Frau. Meine Frau ist an Bord erlaubt bzw. notwendig, wenn die Menschheit – also ich – sich nach dem Untergang wieder vermehren soll. Dieser Themenkomplex wirft zwei Probleme auf. Erstens: Ich habe keine Frau. Sie werden verstehen, dass ich dem Gott gegenüber kein Wort davon gesagt habe. Jede Unterbrechung seines Notrettungsplanes wäre unhöflich gewesen. Zweitens habe ich – sexuell gesprochen – wenig Erfahrungen. Und meine Erektionen sind – unter uns – nie von großer Beständigkeit gewesen, jedenfalls nicht so, wie bei den Schwarzen in Afrika oder den USA. Wenn es hier um Potenz geht, hat man mit mir als Überlebendem ganz eindeutig den Falschen ausgewählt. Und glauben Sie mir, diese Option macht das Szenario nicht weniger apokalyptisch. Und dazu ist es noch geschmacklos. Mann und Frau und eine Auswahl von Tieren als Fortpflanzungskommando. Reduziert auf ihre Reproduktionsmöglichkeiten, zum Beischlaf verdammt mit dem Auftrag, eine neue Welt, eine neue Gesellschaft zu bevölkern. Widerlich. Schon die Praxis des Geschlechtsverkehrs als solchem scheint mir Frauen nur deshalb zu benötigen, damit männliche Sexualität für den Betrachter nicht als das erkennbar wird, was sie eigentlich ist, nämlich Selbstbefriedigung. Die ich gelegentlich ausübe. Fortpflanzung ist meiner Ansicht nach ein veraltetes Konzept, worauf man die Menschen in China oder den islamischen Staaten einmal hinweisen sollte, deren Kinder die westliche Welt in Null Komma nichts überrollen und ausradieren werden bzw. überrollt hätten, denn der einzige, der in der Lage sein wird „Nach mir die Sintflut“ zu sagen, das bin ich. (nach einer Pause) Entsetzlich. Jetzt stellen Sie sich einmal vor, Sie müssten die Welt neu bevölkern. Wen beauftragt man da? Was für eine Frau muss das sein? Eine Deutsche? Eine Französin oder Italienerin? Die dann vielleicht ein Mussolini- oder Berlusconi-Gen in sich trägt. Und von der genetischen Belastung der Deutschen will ich gar nicht erst reden. Und wenn ich keine Türkin oder Muslimin auswähle, wird man mich als Rassisten bezeichnen. Es wird zwar niemand da sein, um es auszusprechen. Aber der Gedanke setzt sich fest. Das schlechte Gewissen. Und es wäre mir lieber, wenn das nicht überleben, sondern mit Ihnen allen untergehen würde. (aufbegehrend) Was nimmt man mit auf so ein Boot? Wie soll eine neue Gesellschaft aussehen? Lade ich ausschließlich Tiere des europäischen Waldes ein, also Rehe, Hasen, Hirsche und so weiter? Dann kann ich auch zu Borkenkäfern, Blattläusen und Tausendfüßlern nicht Nein sagen, mit denen ich dann – wer weiß wie lange auf einem Schiff, von dem ich nicht die leiseste Ahnung habe, wie ich es jemals gebaut bekomme, zusammengepfercht leben werde. Und was ist mit Pferden? Ich habe Angst vor Pferden, als Kind bin ich einmal abgeworfen worden. Und auf einem Bauernhof hat eines mal nach mir getreten. Muss ich mich dem stellen? Sind Pferde notwendig in einer Neuen Welt: Albaner, Danubier, Isländer? Diese ganzen Rassen, die es da gibt, Lipizzaner, Araber…(sich selbst unterbrechend) Ich bin kein Rassist. Ich verbitte mir jede Unterstellung in diese Richtung. Aber es geht um einen Neuanfang, und da muss überlegt werden, wer überlebt. Wer das Recht hat, sein Leben fortzusetzen und sich fortzupflanzen. (aufbegehrend) Das kann doch nicht sein, dass das jetzt meine Aufgabe ist! Ich bin gegen Kinder. Immer schon gewesen. Kinder sind unser Untergang. Sehen Sie sich die junge Generation doch an: haltungslos, sprachunfähig und vulgär. Nicht gerade eine Einladung zur Vaterschaft. (sehr aufgebracht) Können Sie mir mal sagen, wie man ernsthaft an einen Gott glauben kann, der mich zum Auserwählten erklärt? Das geht doch nicht. Als wenn ich vor dem Weltuntergang nichts besseres zu tun hätte als ein Boot zu bauen und eine Frau zu finden, um Kinder zu zeugen! Wenn ich Nachwuchs in die Welt setze, dann wie Bandwurm oder Tellerschnecke, nämlich auf dem Weg der Selbstbefruchtung. Und meine Kinder, die ich gleich dutzendweise zeuge, werden dann homosexuell sein, schwul oder lesbisch, und wenn das nicht, dann wenigstens unfruchtbar oder zeugungsunfähig. Fazit: Wir könnten erhobenen Hauptes aussterben, statt zusehen zu müssen, wie die Menschheit langsam aber sicher den Bach runter geht. Und ich könnte mir den Gang bzw. die Fahrt zum Baumarkt sparen.

Regen setzt ein. Der Mann zuckt zusammen, lauscht kurz und wird schlagartig wieder befangener und mutloser. Er öffnet den Stadtplan, blickt überfordert darauf und wendet sich dann wieder an die Menschen.

DER MANN: Märkische Spitze in Marzahn, Grünbergallee in Bohnsdorf, Malchower Chaussee in Weissensee? Haben Sie eine Ahnung, welche Regionalbahn da hin fährt? (kurze Pause) Regen. Hören Sie? Das bleibt jetzt so. Für vierzig Tage. (kurze Pause, sich abwendend) Es tat gut, mit Ihnen zu reden. Wir werden uns nie wiedersehen.

Der Regen wird stärker. Das ist das Ende.

Text – Wir werden uns nie wiedersehen