Fünf Jahre Autor*innenförderung.
von Thomas Jonigk

Autor*innenschaft im deutschsprachigen Kulturraum (Theaterautor*innenschaft im Besonderen) schien um das Jahr 2006 auf dramatische Weise ihren Sexappeal und ihre Gegenwartsrelevanz eingebüßt zu haben. Vorbei die Zeiten, in denen dramatische Texte dramatische Reaktionen hervorriefen: öffentliche Diskurse, Diffamierung, Freiheitsberaubung, Zensur: all das schien endgültig der Vergangenheit anzugehören. Dennoch konnte bzw. kann das Desinteresse (die Ignoranz) der Öffentlichkeit gegenüber Dramatiker*innen als Individuen und kreativen Impulsgeber*innen nicht akzeptiert werden: Theaterautor*innen werden nur deshalb nicht (mehr) zensiert oder am Schreiben gehindert, weil sie als irrelevante, aussterbende Spezies betrachtet werden, zunehmend abgelöst bzw. abgehängt von Drehbuch-autor*innen aus dem Bereich Kino bzw. Serien oder Romanschreiber*innen mit dem (wenn auch unwahrscheinlichen) Potential zum Bestsellerbuch. Diese bedenkliche Situation spiegelt sich auch in den Spielplänen der Theater wieder: Zwar gibt es jede Menge Uraufführungen, doch schaffen es immer weniger Theaterstücke, ins feste Repertoire der Bühnen übernommen zu werden. Nachspiele sind selten (das Düsseldorfer Schauspielhaus unter Amélie Niermeyer stellte hier für mich eine positive Ausnahme dar). Stücke wurden und werden zunehmend durch Roman- und Filmadaptionen, Projekte aller Art (aus der Feder sich überschätzender Dramaturg*innen) ersetzt. Viele Regisseur*innen sind nicht mehr fähig oder bereit, ein Stück der ihm eigenen Dramaturgie gemäß zu erzählen, ihm den roten Teppich auszubreiten. Das ist kein Statement gegen das sogenannte Regietheater. Überhaupt nicht. Sondern eines für die Notwendigkeit von Theaterstücken. Und für die Kraft bühnenwirksamer, literarischer Sprache.

... weiter mit gesamtem Text

AUTORENLABOR AM DÜSSELDORFER SCHAUSPIELHAUS
von Thomas Jonigk

Autor*innenschaft im deutschsprachigen Kulturraum (Theaterautor*innenschaft im Besonderen) schien um das Jahr 2006 auf dramatische Weise ihren Sexappeal und ihre Gegenwartsrelevanz eingebüßt zu haben. Vorbei die Zeiten, in denen dramatische Texte dramatische Reaktionen hervorriefen: öffentliche Diskurse, Diffamierung, Freiheitsberaubung, Zensur: all das schien endgültig der Vergangenheit anzugehören. Dennoch konnte bzw. kann das Desinteresse (die Ignoranz) der Öffentlichkeit gegenüber Dramatiker*innen als Individuen und kreativen Impulsgeber*innen nicht akzeptiert werden: Theaterautor*innen werden nur deshalb nicht (mehr) zensiert oder am Schreiben gehindert, weil sie als irrelevante, aussterbende Spezies betrachtet werden, zunehmend abgelöst bzw. abgehängt von Drehbuch-autor*innen aus dem Bereich Kino bzw. Serien oder Romanschreiber*innen mit dem (wenn auch unwahrscheinlichen) Potential zum Bestsellerbuch. Diese bedenkliche Situation spiegelt sich auch in den Spielplänen der Theater wieder: Zwar gibt es jede Menge Uraufführungen, doch schaffen es immer weniger Theaterstücke, ins feste Repertoire der Bühnen übernommen zu werden. Nachspiele sind selten (das Düsseldorfer Schauspielhaus unter Amélie Niermeyer stellte hier für mich eine positive Ausnahme dar). Stücke wurden und werden zunehmend durch Roman- und Filmadaptionen, Projekte aller Art (aus der Feder sich überschätzender Dramaturg*innen) ersetzt. Viele Regisseur*innen sind nicht mehr fähig oder bereit, ein Stück der ihm eigenen Dramaturgie gemäß zu erzählen, ihm den roten Teppich auszubreiten. Das ist kein Statement gegen das sogenannte Regietheater. Überhaupt nicht. Sondern eines für die Notwendigkeit von Theaterstücken. Und für die Kraft bühnenwirksamer, literarischer Sprache.

In einer Verwertungsgesellschaft wie der, in der wir leben und arbeiten, interessiert nicht die Basis, das Fundament des Herzustellenden, die (ein Ganzes bildenden) Details, Umwege und Prozesse, sondern das greif- und sichtbare Resultat – im schlimmsten Fall manchmal auch einfach nur die Verpackung. Und das ist im Theater die Inszenierung. Oder (wenn es ganz schlimm kommt) ausschließlich die ästhetische Präsentation, also Bühnenbild, Kostüme, Sound/Musik und Licht. Wie aber auch immer: In der Regel stehen im Zentrum des konsumatorischen Interesses einzelne Schauspieler*innen sowie die Regie. Und ob die Kritik – die Verpackung der Verpackung – eine Produktion gutheißt, oder nicht. Zeitgenössische Theatertexte – so schien es mir damals – fielen positiv auf, wenn sie nicht störten und sich der Produktion nicht sperrig bzw. eigensinnig in den Weg stellten, sich nicht sträubten, in ein (möglicherweise äußerliches, sterbenslangweiliges, fragwürdiges bzw. nicht aus dem Stück heraus entwickeltes) Inszenierungskonzept eingepasst zu werden. Klassiker widersprechen schließlich auch nicht. Insofern schien es (über kurz oder lang) besser bzw. einfacher, auf tote Dramatiker*innen zurückzugreifen. Am Theater wirkten Gegenwartsautor*innen als singuläre Urheber*innen (im Gegensatz zu Kollektiven oder Teamprojekten) in ihrem Anspruch auf einen in sich geschlossenen Text absurderweise zunehmend altmodisch und fügt sich nicht in das damals Moderne, das sich – ganz im Sinne Baudrillards – kurz zusammenfassen lässt: Immer größer werdende Effekte verschleiern, dass es keine Ereignisse mehr gibt.

Gesellschaftlich relevante Themen fanden immer weniger den Weg auf die (große) Bühne. Oder wurden auf eine Weise in Angriff genommen, die das Publikum nicht als einladend empfand. Warum wurde versucht, Themen wie Machtmissbrauch, Misogynie, Xenophobie, Rassismus oder gesellschaftliche Misstände auf umständlichen Umwegen über die alten Griechen, Schiller, Ibsen (und so weiter), in die Gegenwart zu ziehen? Warum wurden keine zeitgenössischen Autor*innen (finanziell wie ideell) ermutigt, in Form von Theaterstücken zu oben genannten Themen Stellung zu nehmen? Oder (andersherum gefragt): Warum waren so wenige Autor*innen dazu in der Lage, zeigten so wenige Interesse, sich auf diese verminten Felder hinauszuwagen? Und abschließend gefragt: Was soll bzw. kann warum für wen in welcher Form erzählt werden? Fragen über Fragen. Insgesamt unbeantwortet.

Ich glaube, dass Autor*in, geschriebenes Stück, Sprache, Dialog essentieller, unverzichtbarer Bestandteil des Theaters sind – allein im 20. Jahrhundert sind über Namen wie Bertolt Brecht, Samuel Beckett, Eugène Ionesco, Leonora Carrington, René Pollesch oder Elfriede Jelinek Formen für Sprache gefunden worden, die das Theater erneuert bis revolutioniert haben und es langfristig am Leben erhalten können. Es mögen vielleicht wenige Namen sein (und nicht jede*r wird mit jedem einverstanden sein) – aber es sind maßgebliche. Sie existieren. Und schon deshalb gehören Autor*innen gefördert, auch wenn eine wachsende Zahl von Preisen, Stipendien, Studiengängen und Schreibwerkstätten bislang noch nicht zu einer größeren Anzahl erstrangiger Autor*innen geführt hat, die aus der größeren Masse hervorstechen. Immerhin: Die Zahl der Uraufführungen ist gestiegen. Wobei dieser Fakt kein wachsendes Interesse an Gegenwartsdramatik widerspiegelt (und an Gegenwartsautor*innen sowieso nicht). Vielmehr geht es um eine angestrebte Außenwirkung, um eine ängstliche Anbiederung an das Feuilleton. Diese wiederum ist für die Theater, wenn sie nicht in der totalen überregionalen Vergessenheit versinken wollen, notwendig. Da Dramatiker*innen aber nur verdienen, wenn sie (nach-)gespielt wird, sehen sie sich um eine ihrer potentiellen Einnahmequellen betrogen. Und somit auch um die Ausübung eines – mindestens seit Jean Paul – denkbaren bzw. (zumindest theoretisch) möglichen Berufes.

Natürlich sind Autor*innen nicht das Patentrezept gegen die dem Theater immanente Formulierungs- und Sendungskrise, keine Brücke über dem Abgrund von Subjektivität bzw. unbestechlichem individuellem Ausdruck einerseits und der angestrebten 90-100prozentigen Auslastung eines Hauses andererseits: Nicht wenige Gegenwartsdramen bewegen sich im Niemandsland referenz- und risikoloser Subjektivität und ich-bezogener Belanglosigkeit von sprachlich geringer Wiedererkennung und einer Tendenz, die eigene Person für wichtiger zu halten als die Welt. Und doch verkörpern Autor*innen in Bezug auf das Theater für mich das Prinzip Hoffnung: Dass viele es – im Gegensatz zur Vorgängern wie Shakespeare, Goethe, Hauptmann, Ibsen, Dürrenmatt – nur selten auf die so genannten Großen Bühnen schaffen, kann ihnen nicht angelastet werden. In einer Zeit, der Tabu, Gesetz, Moral, Gemeinschaftssinn, Absicht, Stoßrichtung sowie jegliche Dramentheorie (und damit auch jegliche Klarheit über die Funktion des Theaters überhaupt) abhandenkommt, hat ein Text es bedeutend schwerer, von sich selbst so überzeugt zu sein, dass seine Wirkung bis in den zweiten Rang hinauf oder bis in die fünfundzwanzigste Reihe des Parketts reicht.

Kurzum: Autor*innenförderung ist notwendig und wichtig, weil Theater ohne Autor*innen, ohne Gegenwart langfristig nicht möglich ist bzw. zum Museum verkommt: Auch Shakespeare war einst lebendig. Was aber ist zu tun? Ist Schreiben erlernbar? Bringt Fleiß weiter? Ich bezweifle das, wenngleich Disziplin (gekoppelt mit Handwerk) absolut notwendiges Rüstzeug für den beruflichen Alltag des Theaterautors darstellt. Und davon ist manches vermittel- und lernbar, auch wenn Talent, Imagination, Unverschämtheit, Subtilität und Individualität sich jenseits des schulischen Ermessens bewegen.

Autor*innen müssen gesehen, gehört, gefördert werden. Aber wie? Aus diesen Fragen heraus entstand im Gespräch mit Amélie Niermeyer das „Autorenlabor am Düsseldorfer Schauspielhaus“. Das seit der Spielzeit 2006/07 über fünf Jahre von mir geleitete Projekt war in seiner Form einzigartig im deutschsprachigen Raum, denn jenseits von szenischen Lesungen oder Aufführungen mit „Werkstattcharakter“, wurden nicht nur die Uraufführung eines Theaterstücks auf einer der Bühnen des Düsseldorfer Schauspielhauses geboten, sondern den Autor*innen auch finanzielle Unterstützung.

Pro Spielzeit habe ich aus jeweils circa 250 Bewerbungen fünf Teilnehmer*innen ausgewählt. Insgesamt also habe ich mit zwanzig Autor*innen gearbeitet, die sich für die Dauer einer Spielzeit einmal pro Monat jeweils drei Tage mit mir in Düsseldorf getroffen haben. Darüber hinaus bestand keine Residenzpflicht. Im Rahmen der regelmäßigen Begegnungen hatten die Dramatiker*innen die Möglichkeit, den (Düsseldorfer) Theaterbetrieb kennen zu lernen, Proben und Vorstellungen zu besuchen oder Gespräche mit Schauspieler*innen, Regisseur*innen, Dramaturg*innen und der Theaterleitung (und so weiter) zu führen. Parallel dazu wurden sie in der Entwicklung und Entstehung eines Theaterstücks bis hin zu Feinlektoraten unterstützt und begleitet.

Die entstandenen Texte wurden am Ende der jeweiligen Spielzeit vor Publikum und Presse in Lesungen vorgestellt. Eines der Stücke wurde von der Theaterleitung, einer Schauspielerjury und dem Publikum ausgewählt und in der jeweils folgenden Spielzeit in Düsseldorf uraufgeführt. Viele Texte fanden den Weg zu professionellen Theaterverlagen und somit auch den Weg auf deutschsprachige Bühnen.

Mir war und ist wichtig, die Produktionsweise der Autor*innen zu optimieren und den ihnen eigenen Selbstausdruck zu stärken. Vor allem aber, sie auf die harte (und zunehmend härter werdende) Realität des Berufs „Theaterautor*in“ hinzuweisen, nichts zu beschönigen – und doch Mut zu machen. Junge Kreative um ihre Unverzichtbarkeit als Autor*in, als Quelle theatralen Schaffens, wissen zu lassen. Ihre kritische Selbsteinschätzung und ihr Rückgrat zu stärken. Größenwahn ebenso wie Minderwert durch Selbstwertgefühl im Bewusstsein der gegebenen (Theater-) Realität zu ersetzen. Das Interesse ist inhaltlich. Und das halte ich – wenngleich selbstverständlich – für ungewöhnlich.

Es ist erfreulich und bemerkenswert, dass viele Teilnehmer*innen des Autorenlabors es geschafft haben, sich als Autor*innen zu etablieren, hier nenne ich beispielhaft Namen wie Thomas Melle, Nis-Momme Stockmann, Juliane Kann, Nora Mansmann, Lukas Linder oder Dirk Laucke. Viele von ihnen schreiben bis heute erfolgreich Theaterstücke oder Prosa. Einige sind ins Regiefach gewechselt. Nicht wenige haben sich professionalisiert und ihren künstlerischen Ausdruck geschärft. Möglicherweise hätten sie es auch ohne jede Hilfe geschafft – doch das bleibt Hypothese. Mir ist vor allem eines klar geworden: Autor*innen brauchen eine oder zwei Menschen ihres Vertrauens, mit denen sie an ihren Texten arbeiten können: Sie brauchen Lektorate, nicht nur literarisch, sondern auch psychologisch geschulte Menschen, die in der Lage sind, ihr Gegenüber in seiner Einzigartigkeit herauszufordern und zu unterstützen. Hier werden für junge, noch unerfahrene Schreibende notwendige und wertvolle Erfahrungen gemacht. Viele Gespräche, Situationen, Erfahrungen und Diskurse im Rahmen des Autorenlabors waren außergewöhnlich wertvoll. Die Resultate waren greifbar: Intendant*innen, Dramaturg*innen sowie Theaterverlage interessierten sich für die Teilnehmer*innen, viele der Texte wurden in schneller Folge an unterschiedlichsten deutschsprachigen Theatern aufgeführt, viele Autor*innen lernten, sich (öffentlich) selbstbewusst zu vertreten, die Herausforderung des Berufs Theaterautor*in anzunehmen und sich als unverzichtbaren Bestandteil der Theaterspielpläne zu verstehen.
Und das würde ich, zweifelsohne, als Erfolg bezeichnen.
Und als lustvollen Beweis für die Tatsache, dass Autor*innenförderung unverzichtbar ist.

Veröffentlicht in: fünfzig. Das Düsseldorfer Schauspielhaus 1970-2020. Herausgegeben von Wilfried Schulz und Felicitas Zürcher. Verlag Theater der Zeit. Berlin 2020